Ein aktuelles Positionspapier von 200 Expertinnen und Experten aus der Industrie und Wissenschaft Nordrhein-Westfalens skizziert den Weg zum „Quantentechnologieland NRW“. Im Interview spricht Dr. Bernd Jungbluth, Koordinator der Quanten-Roadmap NRW und Leiter des Strategischen Programms Quantentechnologien des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT in Aachen, über das Papier und dessen Entstehung, das Potenzial der Quantentechnologie 2.0 und deren Anziehungskraft auf Studierende.
Im Jahr 2024 hat die vom Land geförderte Initiative EIN Quantum NRW diverse Workshops und Diskussionen ausgerichtet, an denen sich rund 200 Expertinnen und Experten aus der Quantencommunity Nordrhein-Westfalens beteiligt haben. Gemeinsam haben wir dabei eine Positionsbestimmung vorgenommen: Wo steht unser Land in den Quantentechnologien? Wo haben wir Stärken? Und wie stehen wir im internationalen Vergleich da? – Aufgrund seiner zentralen Lage in Europa und der dicht besiedelten Metropolregionen mit kurzen Wegen hält NRW viele Trümpfe in der Hand, zumal es hier eine sehr starke industrielle Basis mit vielen potenziellen Anwendern sowie auch mit Herstellern und Zulieferern aus unterschiedlichen Bereichen der Quantentechnologien gibt. Hinzu kommt die hohe Dichte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit beachtlicher Expertise in diesem Technologiefeld. Auf diesen Stärken kann unser Land aufbauen. Das Positionspapier schlägt Maßnahmen vor, mit denen die Politik die vorhandenen Potenziale aktivieren kann. Diese Vorschläge werden wir in dem fortlaufenden Roadmapping-Prozess weiter konkretisieren.
Wir haben in allen drei Zukunftsmärkten – Quantencomputing, Quantenkommunikation und Quantensensorik – starke Akteure und Kompetenzen. Aber auch die mit dem Roadmapping angestoßene Vernetzung von Industrie und Forschung ist wichtig. Wir brauchen lebendigen Austausch der Perspektiven, Anforderungen und Erwartungen, um aus wissenschaftlichen Erkenntnissen schnell marktfähige Produkte ableiten zu können. Idealerweise findet dieser Technologie- und Wissenstransfer an gemeinsam genutzten Testfeldern, Transferzentren oder Forschungsfabriken statt. Infrastrukturen also, in denen Akteure aus der Industrie und Forschung neue Hard- und Software im Austausch miteinander entwickeln, erproben und zur Reife bringen können. Solche Orte sind auch für eine praxisnahe Aus- und Weiterbildung gefragt. Um diese Zukunftsindustrie aufzubauen, brauchen wir qualifizierte Nachwuchskräfte.
Aus NRW-Sicht ist es so, dass rund ein Dutzend unserer Universitäten und Hochschulen die Quantentechnologien fest in ihrer Forschung und Lehre verankert haben. In den letzten fünf Jahren haben im Schnitt je 450 Studierende Bachelor- oder Master-Abschlüsse mit Bezug zu Quantentechnologien erworben. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen als Gruppenleiter Nichtlineare Optik am Fraunhofer ILT. Quantentechnologie hat eine hohe wissenschaftliche Attraktivität. Das Thema spricht junge Menschen sehr an. Wenn ich Studierenden Themen für ihre Masterarbeit anbiete, muss ich mittlerweile für die herkömmliche Photonik werben, weil es die jungen Leute zur Quantentechnologie zieht.
Ein Vorbild ist der Quantencampus am Forschungszentrum Jülich, wo in Verbindung mit dem Jülich Supercomputing Center (JSC) eine Infrastruktur mit verschiedenen Quantencomputer-Plattformen heranwächst. Gerade beim Quantencomputing laufen die Entwicklung der Hard- und Software sowie das Identifizieren möglicher Anwendungen beinahe synchron. Doch es wird auf absehbare Zeit nur eine begrenzte Anzahl von Quantencomputern geben. Daher ist es wichtig, dass wir Zentren schaffen, an denen Anwender Zugang zur Hard- und Software sowie kompetente Beratung bekommen. Nur so können sie ihre Geschäftsmodelle frühzeitig an eine Welt mit hoch performanten Quantencomputern anpassen und ihre Chancen in dem Zukunftsfeld beim Schopf ergreifen. Für die Entwicklung der Testfelder und Infrastrukturen ist auch die Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland ein gutes Beispiel. NRW braucht ein ähnliches Anwendungszentrum, in den Quantum Science und Quantum Engineering eng miteinander verzahnt sind. Es geht darum, ein neues Ökosystem zu schaffen, das sich mit Enabling Technologies für Quantencomputer, Quantensensoren sowie Quantennetzwerke- und -kommunikation befasst, Fertigungsverfahren weiterentwickelt, Systemdesigns optimiert und diese möglichst schnell auf ein Chip-Format miniaturisiert, das Komponenten testet und bestehende Lücken auf technologischer Ebene nach und nach schließt. Die gemeinsame Nutzung von Labor- und Geräte-Infrastruktur hat sich für den Aufbau solcher Ökosysteme bewährt, denn sie wirkt wie ein Katalysator für den Technologietransfer.
Mit einer Förderung des Landes NRW konnten wir – also das Fraunhofer ILT – den Knoten mit unseren niederländischen Kollegen vom TNO zunächst in Delft bauen und erproben. Nun haben wir ihn nach Aachen geholt und nehmen ihn hier in Betrieb. Es ist eine optimierte Variante des Knotens, mit dem das Team um Ronald Hansen erstmals eine quantensichere Verbindung zwischen zwei Computern in Delft und Den Haag realisiert hat. Und zwar über eine übliche Telekomfaser, die vorher schon im Boden lag. Wir haben einen Quantenfrequenz-Konverter beigesteuert, der Einzelphotonen, die es für das Quantensignal braucht, ins Telekomband bei 1550 nm konvertiert, um sie verlustarm und nahezu ohne Rauschen durch die Faser zu senden. Nun geht es darum, diese Technologie und die einzelnen Komponenten möglichst zusammen mit Industriepartnern weiterzuentwickeln.
Wir werden uns zunächst über regional begrenzte so genannte „Metropolitan Scale Quantum Networks“ an ein Quanteninternet der Zukunft annähern. Noch fehlt für die Langstrecke der eine oder andere Technologiebaustein. Aber wir brauchen diese Netzwerke. Denn wie schon erwähnt, werden Quantencomputer herkömmliche PC vorerst nicht ersetzen; ihr Betrieb ist dafür noch zu aufwendig. Daher gilt es, über Metropolitan Scale Quantum Networks sichere und leistungsfähige Verbindungen zwischen den verteilten Quantencomputerplattformen und Quantensensoren zu schaffen. Zudem können sie in Zukunft Remote-Zugriffe für industrielle und wissenschaftliche Anwender ermöglichen. Auch ein Distributed Quantum Computing ist denkbar – also das Verschalten von mehreren Rechnern zu einem Quantensystem, um die Kapazität und Performance zu skalieren. Uns schwebt unter anderem eine Verbindung vom Aachener Knoten zum Quantencampus Jülich und ans Backbone eines zentralen deutschen Testnetzwerks in Bonn vor. Vor allem bietet uns der Internetknoten ein praktisches Testfeld, in dem wir diese Technologie mit Partnern aus der Industrie und Wissenschaft in Richtung marktreifer Lösungen entwickeln möchten. Und als Koordinator der QuantenRoadmap NRW kann ich ergänzen: In der Quantenkommunikation haben wir eine sehr solide technologische Basis. Wir haben hervorragende Fachleute, viele potenzielle Anwender, kurze Wege für die Netzwerke und unsere zentrale Lage in Europa. Das Quanteninternet der Zukunft kann von hier aus in alle Richtungen wachsen.
Sie hilft beim Vernetzen der Community und sorgt für Wahrnehmbarkeit – also Outreach. Es geht darum, dieses junge erklärungsbedürftige Technologiefeld ins Bewusstsein potenzieller Anwender und Zulieferer zu bringen. Beim Laser, der ebenfalls auf den Quantentechnologien basiert, ist das gelungen. Jetzt ist die Quantentechnologie 2.0 so weit, dass wir Phänomene wie die Unschärfe, den Welle-Teilchen-Dualismus oder die Quantisierung nicht mehr nur im kollektiven System Laser nutzen, sondern Quantensysteme einzeln kontrollieren, auslösen und dabei Phänomene wie die Verschränkung und Überlagerung nutzen können. Dadurch eröffnen sich vielfältige faszinierende Möglichkeiten. Quantentechnologien erweitern unseren ingenieurtechnischen Werkzeugkasten auf vielen Ebenen. Ich sehe sie in einer vergleichbaren Rolle wie die Raumfahrt in den 1960er Jahren: Sie sind die neue Messlatte für Präzision und die Spitze dessen, was sich mit unseren heutigen Mitteln entwickeln lässt. Und ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht – und welche Neuheuten wir auf der World of Quantum sehen werden.